Wien - Klagenfurt Tages(Rad)tour


Als um 4:00 mein Handy-Wecker läutete, war ich erstaunlicherweise kaum noch müde. Heute war es also soweit, monatelange Planungsaktivitäten, Abstimmungsemails und Telefonate mündeten in einer kommoden IronDrake Radfahraktion. Wien-Klagenfurt in a day – das war das Ziel und langerhand von unserem Trainer Pete und dem Fachexperten für lange, schnelle Dinge am Rad, Snick, geplant. Nach einem frühmorgendlichen Kaffee schnappte ich mein Camelbag, verfrachtete mein Rennrad ins Auto und machte mich auf zum Ausgangspunkt der Tour: Wien – Siebenhirten.Peter war schon vor Ort als ich mein Vorderrad in der Gabel mit dem Schnellspanner montierte. Nach und nach trudelten pünktlich die anderen Drakes ein: der Mann der Zahlen Wolfgang, Andi Kilometerbolzer sowie der prinzerne Christian. Pünktlich um 5:00 starteten wir die ersten Pedalumdrehungen gen Klagenfurt. Das Wetter auf den ersten 80km war wie geschaffen für diese Tour. Wir verließen bei Sonnenaufgang in der Morgensonne die Wiener Stadtgrenze und kurbelten relaxed Richtung Semmering. Die Tour war so geplant, dass die „nicht notwendigen Höhenmeter“ diesmal ausnahmsweise ausgelassen wurden. Deshalb ging es zunächst bis Neunkirchen flach dahin. Nach den ersten 15km stieß ein Arbeitskollege von Christian P. zu uns, der dankenswerter Weise gemeinsam mit Christian bis zum Semmering die Führungsarbeit übernahm. Im Bulk dahinter wurde in der Morgenstimmung gemütlich geplaudert - leider haben die Croissants und der Kaffee (vorerst) gefehlt. Nach einer Stunde Fahrzeit gab Snick das erste Mal das Zeichen zu einer geplanten 5 Min Pause. Nach den ersten Müsliriegeln und Isostarschlucken (und es sollten noch sehr viele folgen) gings weiter: Kurz vor Neunkirchen verabschiedete sich der Mann der Zahlen Wolfgang und ab nun lagen sämtliche statistischen Aufgaben bei unserem Trainer und Snick. Diese konnten zwar Wolfgang diesbezüglich nicht das Wasser reichen, aber wir hofften sowieso im Trockenen nach Klagenfurt zu kommen. Bei der Ortsdurchfahrt Neunkirchen stand die zweite Blitzpause an und einige Croissants und Cappuccinos mussten daran glauben.Von nun an ging’s tendienziell bergauf Richtung Semmering. Leichter Gegenwind hatte sich auch schon bemerkbar gemacht aber das war noch gar nix gegen das, was uns auf der anderen Seite des Semmerings erwartete. In Schottwien konnte ich meinem inneren Drang nicht widerstehen und schwenkte auf meine übliche Radtaktik ein: Gleich zu Beginn flott fahren damit der drohende Einbruch später auch gerechtfertigt ist :=) Auch Peter fand an dieser Taktik Interesse und so kurbelten wir auf das Dach der Tour. Die anderen Drakes gingen die Sache vernünftiger an und so trafen nach einer kurzen Bio-Break (Wurschtsemmel essen, Entwässern) alle Fahrer am Scheitelpunkt des Semmering ein. Und wieder einmal war es time to say goodbye. Diesmal schüttelten wir Christian P. die Hand, schwangen unsere Hintern in die Sättel und kurbelten bei kühlen 10 Grad den Semmering hinunter.

Jetzt also konnte plangemäß der angenehmste Streckenabschnitt der Tour beginnen. Etwa 70 Kilometer sollte es bis Bruck an der Mur hinunter gehen. Leicht und gleichmäßig bergab sollten günstige Bedingungen bestehen, um den semmeringbedingt etwas mickrigen Schnitt von 26 km/h in die Höhe zu schrauben. Gestern noch war Windstille angesagt. Optimale Vorzeichen also. Aber es kommt anders.
Das erste Stück den Semmering bergab peitscht uns schon der böige Wind entgegen. Wo man normalerweise bequem und ohne viel Strampelei mit einem 60er runterrollt, fahren wir nun in enger Formation – Rad an Rad – erkämpfte 35 Stundenkilometer. Jetzt kurz nach 8 Uhr ist es noch recht kühl. So kommt es, dass wir alle Windjacken tragen, die das Leben nicht gerade einfacher machen...

Die sattgrün, frühsommerliche Landschaft im oberen Mürztal lenkt etwas vom Gegenwind ab. Über immer stärker frequentierte Straßen fahren wir den hellgrauen, dichten Haufenwolken aus südwestlicher Richtung entgegen. Es geht über Mürzzuschlag nach Langenwang, wo der nächste Stopp angesagt ist. Snick, der sich immer mehr als „Zugpferd“ der Truppe herauskristallisiert, steigt – vom Wind und Straßenverkehr leicht genervt - vom Drahtesel. Mit fast eingeimpfter Disziplin schauen wir alle auf die Uhr, um die fünfminütige Pause möglichst sinnvoll zu nützen. Mangels Tankstelle nützen wir ein einfaches Gasthaus zum Auftanken und die sonstigen Aktivitäten.

Auf Land- und Nebenstraßen geht es weiter in Richtung Klagenfurt. Jeder scheint inzwischen einen eigenen Weg gefunden haben, mit den Energien sparsam hauszuhalten. Andi verwendete dazu den neu erworbenen Leistungsmesser, der die Belastung auf den Watt genau angibt. Die Gleichmäßigkeit der Fahrt kann auf diese Weise sehr objektiv festgestellt werden. Ich hielt mich eher an die traditionelle Methode, durch minimalem Abstand zum Vordermann – meistens ist das Snick - möglichst viel Windschatten zu erhaschen. Von viel Abwechslung in der Führungsarbeit kann man nicht mehr sprechen. Johannes scheinen die Energien nicht abzugehen. Diesen Eindruck macht der Beginn seiner Steigerungsfahrt, die sich bis Klagenfurt fortsetzen sollte. Alle anderen haben wenig Interesse, sich bei 30 bis 35 km/h vorne in den Wind zu stellen.

Es ist etwa 11 Uhr. Bei der Fahrt durch Kindberg beginnen die ersten Überlegungen, den Zeitpunkt, den Ort und die Modalitäten des Mittagessens zu optimieren. Die Ideen sind sehr weit reichend. Vom schnellen Wurstsemmerl bei einer Tankstelle bis zum gutbürgerlichen Schmaus ist alles möglich. Die motivatorische Wirkung wird genau kalkuliert. Es ist sicher günstig, bei der Mittagspause deutlich mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich zu haben. Andererseits rührt sich immer deutlicher der Magen, was philosophische Denkspiele hintergeht. Schlussendlich entscheidet ein Defekt an Peters Rad, der sein Rad kurzfristig zu einem Fünf-Gang-Rad macht, weil sich die oberen Gänge nicht mehr schalten lassen. Nach einer kurzen Irrfahrt durch Bruck an der Mur – es ist aufgrund Jo’s guter Vorbereitung die einzige geblieben – landen wir dann in einem Wirtshaus in Niklasdorf, wo wir einkehren.
Diverse Leberknödelsuppen, deftige Pfannengerichte und Schokopalatschinken später steigen wir nach einer Dreiviertelstunde wieder auf unsere Räder. Der Defekt – es war ein gelockerte Fixierung des Schaltseils – war schnell repariert. So steht den fehlenden 140 Kilometern bis zum Wörthersee nichts im Weg. Nun geht es die nächsten ca. 90 Kilometer das Murtal hinauf. Die Wolken haben sich inzwischen etwas verzogen. Es ist spürbar wärmer geworden. Die Sonne kommt immer mehr zum Vorschein. Eines ist geblieben, wie es war – der Südwestwind.
Wir folgen dem Murradweg. Besonders mit vollem Magen ist es recht angenehm, eine Weile nicht auf den Straßenverkehr achten zu müssen. Über die Reihenfolge brauchen wir uns keine Gedanken mehr zu machen. Johannes fährt vorne. Ich klebe am Hinterrad. Peter und Andi fahren hinten. In der Gegend um Knittelfeld – wir haben ca. 190 Kilometer am Tacho stehen – zeichnet sich ab, dass Andi Probleme mit dem Tempo hat. Das Team zieht sich so auseinander. Wir warten regelmäßig im Stundentakt zusammen und machen wie gewohnt nur kurze Pausen.
In Judenburg zeigt sich endlich das sommerliche Wetter, wie es noch am Vortag im Wetterbericht versprochen wurde. Sonnenschein, 25 Grad und beinahe Windstille. Bei einer Tankstelle stoppen wir kurz. Andi saugt sich diverse Powergels hinein, um zum gewohnten Tempo zurückzufinden. Die nächsten Kilometer werden nicht ganz einfach. Es soll den Perchauer Sattel hinauf gehen. Er ist nicht besonders hoch, aber ein paar hundert Höhenmeter sind kein Spaß, wenn man angeschlagen ist und mehr als 200 Kilometer in den Beinen hat.
Nach Unzmarkt und Scheifling warten wir am Fuß des Bergs zusammen, der uns von Kärnten noch trennt. Langsam machen sich Gedanken an die abendliche Pizza in Klagenfurt breit. Ab noch ist ja einiges zu tun. 80 Kilometer fehlen ja noch. Den Perchauer Sattel hinauf ändert sich die gewohnte Reihenfolge. Peter attackiert von Anfang an. Wir können bzw. wollen anfangs nicht folgen. Nachdem wir ihn nach fünf Minuten auf den gestreckten Serpentinen nicht mehr sehen können, fahren wir unser Tempo und begraben unsere Hoffnungen auf die interne Bergwertung. In Neumarkt in der Steiermark treffen wir uns, wo wir uns im Kaffeehaus für die abschließende lange Abfahrt ein bisschen mit Espressos aufputschen.

Auf der Abfahrt geht es über die Landesgrenze nach Friesach. Wieder kommt es zu einer Attacke von Peter. Diesmal allerdings nicht bergauf, sondern am steilsten, kurvigen Abschnitt bergab. Wieder können wir nicht folgen. Diesmal geben wir aber nicht kampflos auf, sondern kämpfen uns im belgischen Kreisel oft heran. Oft wird der Abstand knapp. Peter gelingt aber immer die Flucht nach vorne. Die unterhaltsame Verfolgungsjagd dauert dann etwa eine halbe Stunde, bis wir in Althofen die letzte Pause vor Klagenfurt einlegen. Andi zeigt seine berühmten Beißerqualitäten. Nach den letzten 90 Kilometer, die er sprichwörtlich am Zahnfleisch zurückgelegt hat, werden die verbleibenden 35 Kilometer aber auch kein Problem sein. Die restliche Strecke ist relativ ereignislos.
Locker rollen wir zur Ortstafel, wo wir uns um ca. 8 Uhr am Abend zwecks „Beweisfoto“ treffen. Weiter geht es nun zum Quartier am Wörthersee und zum verdienten gemeinsamen Abendessen in der Pizzeria. Am See angekommen, kommen wir pünktlich zum Sonnenuntergang. Ein ereignisreicher Tag. Wir sind zufrieden. Das Ziel ist erreicht.

Pete + IronChris